Obere Mühle Gosbach wird erster CO2-neutraler Handwerksbetrieb in Baden-Württemberg

Ruth Erhardt-Zonka und Markus Zonka sind Geschäftsführer der Oberen Mühle Gosbach. Das traditionsreiche Handwerkunternehmen ist beim Getreide-Einkauf und der Wasserkraft-Nutzung, aber auch beim Thema Hochwasser stark vom Wetter abhängig. Aus diesen Gründen, aber auch aus einer gesellschaftlichen Verantwortung heraus, wollen die Geschäftsführer ihren Mühlenbetrieb CO2-neutal machen. In Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer Region Stuttgart wird eine CO2-Bilanz erstellt und eine CO2-Strategie entwickelt. Der CO2-Überschuss wird anschließend mit der Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg kompensiert. Am 16. März 2022 wurde die Obere Mühle Gosbach der erste Handwerksbetrieb überhaupt, der in Baden-Württemberg das Label „CO2-neutal“ offiziell erhalten hat. Im Anschluss wurden u.a. durch die Überholung der Wasserturbine, die Installation eine PV-Anlage und die Investition in einen E-Transporter weitere Potenziale ausgeschöpft.

Text: Lerche, itb (Stand: Oktober 2023)

Abbildung 1 Logo © Obere Mühle Gosbach
Abbildung 3 Ruth Erhardt-Zonka und Markus Zonka © Obere Mühle Gosbach
Ruth Erhardt-Zonka und Markus Zonka © Obere Mühle Gosbach

Als Ruth Erhardt-Zonka nach dem Lebensmitteltechnologie-Studium im Jahr 1999 den elterlichen Mühlenbetrieb übernahm, hatte dieser bereits eine lange Tradition: 1331 wurde die Obere Mühle Gosbach erstmals urkundlich erwähnt und seit 1927 befand sie sich im Besitz der Familie Erhardt. Die ersten Jahre waren für die junge Geschäftsführerin nicht leicht, weil ihr Handwerksbetrieb auf dem Mehlmarkt mit Großunternehmen konkurrieren musste, die bestehende Direktvermarktung war erst in den Kinderschuhen. Nachdem Markus Zonka, Vertriebs-Experte und Ehemann, im Jahr 2004 in den Mühlenbetrieb einstieg, wurden die Aktivitäten im Bereich Einzelhandel schrittweise erweitert. An die Mühle wurde ein neuer Laden, die „NaturGenussMühle“, angebaut, in dem neben den eigenen Mehlen und Nudeln auch viele regionale Koch- und Backzutaten angeboten werden. Die Entwicklung verlief positiv. Heute haben beide Standbeine des Unternehmens ähnliche Absatzmengen:

  • Verkauf und Lieferung von Mehlen an regionale Unternehmen, wie Bäckereien und Restaurants
  • Verkauf von Mehlen und anderen Produkten in der „NaturGenussMühle“ an Endkundschaft aus der Region

Aber nicht nur im Verkauf setzt die Obere Mühle Gosbach voll auf Regionalität, sondern auch im Einkauf: Weizen und Dinkel für die Mehle werden direkt von der Schwäbischen Alb bezogen. Der Großteil stammt sogar aus einem 10-Kilometer-Umkreis und somit aus der unmittelbaren Nachbarschaft.

Für Ruth Erhardt-Zonka ist der Sommer immer besonders aufregend. Es ist die Erntezeit, in der sie mindestens 70% des Jahresbedarfs an Getreide einkauft. Die verfügbaren Qualitäten und Mengen, aber auch die Preise hängen stark von den Wetterverhältnissen ab. Frau Erhardt-Zonka erinnert sich daher noch genau an die Dürre im Sommer 2018 und den verregneten Sommer 2021 sowie deren negative Auswirkungen auf die Ernte. Da sich die Mühle direkt an den Bächen Gos und Fils befindet und mit Wasserkraft betrieben wird, ergeben sich weitere Risiken: Hochwassergefahr bei Starkregen oder fehlende Wasser-Energie bei Dürre. Die Obere Mühle Gosbach war und ist in vielerlei Hinsicht von extremen Wetterbedingungen betroffen. Aus diesem Grund – aber auch aus einer gesellschaftlichen Verantwortung heraus – wollten die Geschäftsführer ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Abbildung 4 Nachweis der CO2-Neutralität © Obere Mühle Gosbach
Nachweis der CO2-Neutralität © Obere Mühle Gosbach

Für Ruth Erhardt-Zonka und Markus Zonka stand seit einigen Jahren fest, dass ihr Unternehmen CO2-neutral werden soll. Im Jahr 2021 kontaktierte Frau Erhardt-Zonka mehrere Organisationen und erkundigte sich nach Informationen, Angeboten und Fördermöglichkeiten rund um das Thema. Glücklicherweise startete die Handwerkskammer Region Stuttgart zeitgleich das Projekt „Begleitung der Handwerksbetriebe zur Klimaneutralität“, an dem die Obere Mühle Gosbach als Pilotbetrieb teilnehmen konnte. In diesem Rahmen gab es einen regelmäßigen Austausch zwischen Herrn Dr. Kleinbielen, Umweltberater der Handwerkskammer, und Frau Erhardt-Zonka. Der Weg zur CO2-Neutralität bestand im Wesentlichen aus drei Schritten:

CO2-Bilanz erstellen:

Bei der CO2-Bilanz gemäß Greenhouse Gas Protocool werden die CO2-Emissionen in drei Bereichen erfasst:

  • Scope 1: Direkte Emissionen des Unternehmens (z.B. Fuhrpark, Heizung)
  • Scope 2: Indirekte Emissionen des Unternehmens (z.B. Strom, Dampf)
  • Scope 3: Indirekte Emission vor- oder nachgelagerter Partner (z.B. Anlieferung, Entsorgung)

Die Ausgangssituation für die Obere Mühle Gosbach war gut, weil sie in vielen Bereichen bereits nachhaltig handelte (z.B. Wasserkraft-Nutzung, Papierverpackung). Die CO2-Bilanz für das Produktionsjahr 2020 ergab daher, dass der Handwerksbetrieb 25,2 t CO2 ausstößt – vom Korn auf dem Trecker bis zum Mehl in den Händen der Kunden.

Strategie entwickeln:

Die Geschäftsführer wollten die 25,2 t CO2 aber nicht einfach kompensieren und sich auf diesem Wert ausruhen. Es war ihr Ziel, den CO2-Ausstoß kurz- und mittelfristig durch Nachhaltigkeits-Projekte zu reduzieren. Auf Basis der CO2-Bilanz für das Jahr 2020 analysierten sie die einzelne Emissionsfaktoren und deren Einsparpotenziale. Danach entschieden sie sich für folgende CO2-Strategie:

  • 2021: Turbine überholen, um mehr klimaneutralen Strom zu produzieren. Ladestation für E-Bikes an der „NaturGenussMühle“ einrichten.
  • 2022: Diesel-Transporter durch E-Transporter ersetzen (Mehl-Auslieferung). PV-Anlage auf dem Dach errichten.

CO2-Überschuss kompensieren:

Für die CO2-Neutralität des Unternehmens mussten die 25,2 t CO2, die sich für das Produktionsjahr 2020 ergaben, noch kompensiert werden. Die Kompensationszertifikate wurden über die Klimaschutzstiftung Baden-Württemberg erworben, weil den Geschäftsführern ein regionaler Ansprechpartner wichtig war. Mit dem Geld der Oberen Mühle Gosbach wurde daraufhin eine Biogasanlage in Indien unterstützt.

Die erste CO2-Bilanz der Oberen Mühle Gosbach entstand in knapp 5 Monaten. Kosten fielen durch die Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer nicht an. Die Kompensationszertifikate kosteten 500 EUR. Dieser Aufwand hat sich definitiv gelohnt: Am 16.03.2022 wurde das offizielle Zertifikat „CO2-neutraler Betrieb“ feierlich übergeben. Und eine besondere Überraschung gab es zusätzlich: Durch die zügige Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer ist die Obere Mühle Gosbach der erste Handwerksbetrieb überhaupt, der in Baden-Württemberg das Label „CO2-neutral“ offiziell erhalten hat.

Abbildung 5 Mühle und „MühlenLaden“ © Obere Mühle Gosbach
Mühle und „MühlenLaden“ © Obere Mühle Gosbach

Seit der ersten Übergabe des offiziellen Zertifikats sind inzwischen ca. 1,5 Jahre vergangen. Für Frau Erhardt-Zonka ist die Aktualisierung der CO2-Bilanz bereits Routine. Sie benötigt im Jahr nur noch 2-3 Tage, um alle neuen Unterlagen für Dr. Kleinbielen von der Handwerkammer zusammenzustellen. Bei der Aufarbeitung fallen die Einsparungen ganz besonders ins Auge:

  • 2021: Durch die Turbinen-Überholung konnten 30% der Kosten beim Strom-Einkauf eingespart werden.
  • 2022: Durch die Investitionen in die PV-Anlage und das E-Fahrzeug konnten 27% Diesel und weitere 9% der Kosten beim Strom-Einkauf eingespart werden.

Zusätzlich zu den eingesparten Ressourcen gibt es auch spürbare Marketing-Vorteile. Neben vielen positiven Rückmeldungen der Kundschaft im Laden zeigen sich diese insbesondere in den sozialen Netzwerken, wie z.B. durch Likes bei Instagram. Frau Erhardt-Zonka ist mit der Entwicklung des mittlerweile 12-köpfigen Unternehmens definitiv zufrieden. Sie würde diesen Weg, auf dem sie auch viel Neues über den eigenen Mühlenbetrieb gelernt hat, wieder gehen. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Kleinbielen von der Handwerkskammer Region Stuttgart hätte für sie nicht besser laufen können.

Aber auch für die Zukunft gibt es noch Ideen: So wird bereits über eine Baum-Pflanz-Aktion nachgedacht, bei der die Obere Mühle Gosbach durch einen regionalen Forstbetrieb einen Baum pro 500 kg verkauftem Mehl pflanzen lässt. Darüber hinaus könnten mittelfristig die Heiz-Emissionen durch eine Wärmepumpe weiter reduziert werden.

Abbildung 6 Produkte im „MühlenLaden“ © Obere Mühle Gosbach
Produkte im „MühlenLaden“ © Obere Mühle Gosbach

Die Dienstleistungen sind bei der Oberen Mühle Gosbach im Wandel. Vor Generationen war das Mahlen selbst eine Dienstleistung. Bauern brachten ihr Getreide zur Mühle und holten nach dem Mahlen ihr eigenes Mehl ab. Der Müller konnte als Gegenleistung meist einen Teil des Mehls behalten. Heute ist das nicht mehr so: Die Obere Mühle Gosbach muss Getreide ein- und Mehl verkaufen. Dafür haben sich andere Dienstleistungen entwickelt. Für Großkunden gibt es beispielsweise einen Lieferdienst, für den der E-Transporter genutzt wird. Darüber werden in der „NaturGenussMühle“ regelmäßig Events veranstaltet, wie z.B. Backvorführungen, Verkostungen und Mühlenführungen, um den Kundinnen und Kunden neue Informationen aber auch besondere Erlebnisse zu ermöglichen.

Branche

Müller-Handwerk mit Mühlen-Laden „NaturGenussMühle“

Homepage

www.muehle-gosbach.de

Adresse

Obere Mühle Gosbach
Unterdorfstraße 12
73342 Bad Ditzenbach-Gosbach

Kontakt

Ruth Erhardt-Zonka
Geschäftsführerin
Telefon: 07335 / 6579
E-Mail: info@muehle-gosbach.de

Mitarbeitende

ca. 12

Gründung

Seit 1927 im Familienbesitz